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genug Platz – 9. Kap.

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Der „leere“ Raum

Frederike bewegte ihren Kopf hin und her, mal langsam, mal heftiger. Sie wollte sich damit in den Schlaf wiegen und ihre schlechten Gedanken vertreiben – so wie sie es damals im Kinderheim tat.

Ihr nächtliches Weinen war ein verbittertes Weinen. Die Tränen flossen aufs Kopfkissen. Noch am nächsten Tag war Frederike trübsinnig gestimmt. CIMG2135Erst am späten Nachmittag verließ Frederike das Zimmer. Sie kam an Ellens Zimmer vorbei und ging lustlos auf den Hof, wo sie Ellen traf:
„Ich gehe zu Tante Christa“, sagte sie traurig mit gesenktem Kopf.

„Na, Frederike, du hast mich ja lange nicht mehr besucht! Schön, dass du wieder vorbeikommst!“ So begrüßte Tante Christa das Mädchen. Dabei sah sie nachdenklich in das kleine Gesicht.
„Ich mache uns erst ´mal einen Tee. Komm mit in die Küche!“ Frederike war nun abgelenkt und schon etwas versöhnlicher gelaunt.
„Trag schon mal die Kekse ins Wohnzimmer. Na, du strahlst ja wieder!“ Als sie beide im Wohnzimmer auf dem weichen alten Sofa saßen, sagte Tante Christa:
„Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag!“ Da kullerten Frederike die Tränen über die Wangen und sie fing zu schluchzen an. Tante Christa wollte sie in den Arm nehmen, aber Frederike stemmte sich gegen diese ungewohnte Anteilnahme.
„Ich will nächstes Jahr eine Puppe zum Geburtstag!“ rief sie streng und kompromisslos aus. Dennoch schwang Vergeblichkeit darin. Tante Christa war prima. Sie erzählte ihr eine Geschichte aus ihrer Kindheit. Sie waren viele Schwestern zu Hause, jede hatte eine Puppe. Sie waren albern und ausgelassen, und eine Schwester war stolzer als die andere auf ihre Spielsachen. Sie hatten wenige, aber jedes Teil war für sie kostbar.
„Ich verstehe mich mit Ellen ganz toll“, unterbrach Frederike plötzlich.
„Na, da hast du ja eine gute Freundin“, meinte Tante Christa.
„Ja, und sie hat sogar ihr eigenes Zimmer.“
„Wie schön, dann könnt ihr ja mal ganz für euch sein.“ Tante Christa war wirklich klasse. – Auf dem Nach-Hause-Weg war Frederike wieder guter Dinge. Der Entschluss fiel ihr ein. Heute Abend, so nahm sie sich vor, wollte sie ihn ihrer Mutter mitteilen und vorher noch mit Ellen sprechen.

Sie klopfte an die Tür des „leeren Zimmers“.
„Herein! – Hallo, Frederike. Wollen wir Karten spielen?“, wurde sie sogleich von Ellen bestürmt. Frederike willigte ein. Der Bauernskat dauerte lange. Immer wenn es so aussah, dass eine Seite gewinnen würde, wendete sich das Blatt zu Gunsten des anderen. Als ihre Spiellust zu Ende ging, fasste Frederike Mut:
„Ellen – – – ?“ –
„Ja.“ –
„Du, Ellen. –  – Ich möchte dich was fragen. – – Hier wäre noch Platz für ein zweites Bett. Und wir sind doch so oft zusammen. Ich will gern bei dir einziehen. Bist du damit einverstanden?“
Ellen überlegte lange:
„Ich kann mir das schon gut vorstellen. Aber was sagt deine Mutter dazu?“
„Ach, die muss ich jetzt bloß noch fragen“ antwortete Frederike, als ob das so nebenbei ginge.

Am Abend druckste Frederike in der Nähe ihrer Mutter herum. Diese war wieder sehr nervös von der Arbeit gekommen und schimpfte über die neue Heimleitung und den alten Hausmeister. Vielleicht war das ja gerade der richtige Zeitpunkt, überlegte Frederike.
„Mutti, ich muss dir mal was sagen.“
„Na, dann sag schon!“
„Ellen ist meine beste Freundin.“
„Du und Ellen!“ entgegnete die Mutter geringschätzig. „Ihr passt doch überhaupt nicht zusammen. Ich verstehe gar nicht, wieso sie sich mit dir abgibt.“
Frederike nahm sich zusammen. ´Bloß jetzt nicht weinen´, dachte sie. Sie hatte schon so lange gewartet, nun wollte sie ihr es sagen.
„Mutti, wir verstehen uns aber gut. Und Ellen hat nichts dagegen, wenn ich zu ihr ziehe. Ich kann mein Bett nach drüben mitnehmen. Da ist genug Platz.“
Die Mutter schien jetzt Anlauf für ihre Antwort zu nehmen. Sie atmete tief durch, damit sie von Wort zu Wort ihre Lautstärke steigern konnte:
„So! Sie hat nichts dagegen! Aber ich! Kommt mir gar nicht in die Tüte!!“ In Frederikes Ohren hallte es unerträglich laut nach: ´Kommt mir nicht in die Tüte!´. Nun wurde Frederike auch laut:
„Aber ich ziehe trotzdem um!“
„Wenn du willst, kannst du ganz ausziehen hier! Und was ist das überhaupt für ein Benehmen! So spricht man nicht mit seiner Mutter! Ich müsste dich ins Erziehungsheim stecken! So! Und nun kein Wort mehr!“

Diese Nacht bekam das Kopfkissen wieder dunkle nasse Flecken. Am nächsten Tag erzählte sie Ellen, was vorgefallen war. Ellen hatte einen Rat:
„Warte noch einige Zeit. Du bist tatsächlich noch sehr jung. Komm immer bei mir vorbei, wenn dir danach ist.“
Einerseits fand Frederike, die Lösung des Wartens das einzig Machbare, andererseits war sie dennoch enttäuscht, dass sich Ellen nicht auf ihre Seite schlug.
Kurz vor Weihnachten war es dann so weit. Frederike wiederholte ihren Wunsch nach Umzug, als ihre Mutter wirklich froh gelaunt war. – Es klappte.
**

– Fortsetzungen folgen noch

16.7.2015

heimstatt 2-titelbild.png

(c) http://www.annianders2.wordpress.com

 

 


2 Kommentare

  1. NinoGelo sagt:

    Hat dies auf schreibeblogger rebloggt und kommentierte:

    es wird Zeit für die Fortsetzung.

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