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„Mein Arm“ – 6. Kap.

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„Mein Arm“,

stöhnte Frederike. Die Tante nahm den Arm, Frederike schrie laut auf. Die Tante blickte sie finster an:
„Gebrochen! Wie hast du denn das geschafft!!?“ Frederike schniefte und unterdrückte das Heraufkommen von Tränen.
„Ist ja schon gut. Tante Lilli geht mit dir zum Arzt.“
Tante Lilli kam. Sie gingen durch den Ort, vorbei an dem Wahrzeichen des Erholungsortes, einem übergroßen Seemann mit Südwester, zur Arztpraxis. Der Arzt bestellte nach kurzer Untersuchung ein Taxi und schon saß die Sechsjährige auf dem Rücksitz des schwarzen breiten Wagens, chauffiert von heimstatt taxieinem Zigarre rauchenden Fahrer.  Während die Tante zurück zum Heim ging, wurde sie zu einem Krankenhaus, das sie noch nicht kannte, gefahren. Auf ihrem Schoß hatte Frederike eine silberne Schale, oval mit einem Innenbogen.
´Nierenschale´ hatte der Arzt sie genannt, damit bei Übelkeit das Taxi sauber bliebe. Aber Frederike wurde nicht übel. Sie genoss die Fahrt. Im Krankenhaus, das nicht in der Stadt ihrer Oma sondern irgendwo anders lag, gab es zunächst ein langes Warten. Frederikes Sicherheit war der Zettel, den der Arzt ihr noch mitgegeben hatte. Jetzt wurde ein Name gerufen. Keiner erhob sich. Die aufgerufene Frau hieß auch Frederike, hatte aber noch einen Namen danach. Immer wieder kam der Aufruf von der Schwester mit weißer Haube. Diese ging nun auf Frederike zu, nahm ihr den Zettel aus der Hand und sagte:
„Das bist DU doch! Komm mit!“ Frederike sah kurz einen hoch aufgeschossenen Mann im weißen langen Laken, das er wie eine zu lange Jacke trug. Dieser gab Unverständliches von sich, das sowieso nicht an sie gerichtet war. Dann zogen die Schwester mit Haube und Frederike in einen anderen Raum um. Dort musste Frederike den Arm auf eine kalte Platte legen. Eine alte Stimme, so kalt wie die Platte, sagte:
„Frederike Nochwas, geboren am siebzehnten Juli neunzehnhundertfünfundfünfzig!!“ ((natürlich weicht dieses Datum leicht von der Realität ab – nur leicht))
Das kam so barsch heraus, als ob das etwas Ungehöriges sei. Frederike blickte sie grimmig an. Dann sagte die alte Schwester weiter:
„Du hast ja heute Geburtstag!“ Was das bedeutete, wusste Frederike zwar nicht, aber sie fing heftig zu schluchzen an.
„Du armes Ding!“ folgte noch und klang überhaupt nicht teilnahmsvoll.

Gips

Als die Apparate den rechten Arm mehrmals begutachtet hatten, konnte sich Frederike langsam fangen. Draußen auf dem Flur kam wieder das lange Warten. Dann das Aufrufen mit Frederike Nochwas und dann wieder der lange Arzt: „Angebrochen!“ Nun ging es durch viele Flure. Im richtigen Zimmer angelangt traf Frederike auf eine lebendige Mannschaft von Ärzten. Liebevoll sagte einer von ihnen:
„So, meine Kleine, du bekommst einen ganz hübschen Arm. Wir können nämlich zaubern: jetzt ist dieses Weiße auf dem Verband hier, das mein Kollege in seinen Händen hält, ganz feucht und weich. Er klebt es jetzt an deinen Arm, und dann wirst du sehen, was passiert.“
„Was soll denn passieren?“ fragte Frederike.
„Das ist Gips, was ich hier habe“, antwortete der andere Herr im weißen Anzug und weißen Schuhen munter, während er das weiße Zeug um Frederikes Arm wickelte.
„Gleich wird dein Arm ganz warm werden. Das Wasser steigt dann aus dem Gips heraus, und die weiche Masse wird auf einmal hart – wie gezaubert. So kann dein Arm in Ruhe wieder gesund werden, und du kannst wieder draußen toben oder mit deinen Puppen spielen.“
Zwar kannte Frederike nicht das mit den Puppen spielen, aber auf das Draußen-Toben freute sie sich, obwohl das nie ein Toben war, was sie draußen mit anderen Kindern machte. Frederike beobachtete nun gespannt, was sich mit dem Gips um ihren Arm tat. Tatsächlich traf alles so ein, wie der Arzt gesagt hatte. Frederike verabschiedete sich überschwänglich mit einem „Tschüss, Zauberer“.

Die Schwester mit Haube begleitete sie nun nach unten zum Ausgang, wo das Taxi bereits wartete. Der Fahrer – es war der gleiche – staunte nicht schlecht, dass Frederike nun einen Gipsarm hatte und schaute mit mitleidiger Mine immer wieder in den Rückspiegel zu dem Mädchen, das zufrieden auf der Rückbank saß und die Fahrt in dem großen Wagen, der nur für sie bestellt war, erneut zufrieden auf sich wirken ließ. Die silberne Schale auf dem Schoß blieb unbenutzt.

Im Heim bildete sich sofort eine Traube von Kindern um sie. Alle wollten ihren Gipsarm sehen und anfassen. Die Tage wurden wärmer, und man ging zum Baden an den Strand. Frederike genoss densand-steinchen1 Weg, denn es war für sie gewiss, dass sie mit dem Gips nicht ins Wasser brauchte. Alle Kinder plantschten bald munter im Wasser, während sie ganz ruhig für sich im Sand saß und ihre Freude an dem schönen Wetter hatte. Sie vergrub ihre linke Hand tief in den Sand und ließ ihn anschließend zwischen ihren kleinen Fingern rieseln. Dabei spürten sie dem hinunter strömenden Sand nach, wie er auf der Haut leicht kitzelte. Immer wieder ließ sie den Sand so zwischen die Finger hindurch rieseln. Sie entdeckte, dass es im Grunde gar nicht „den Sand“ gab. Es war nicht eine gleichförmige Masse. Der Sand hatte einzelne Körner. Die sahen aus wie winzige Steinchen. Und jedes Steinchen sah anders aus als das andere: eine andere Form, auch unterschiedliche Farben gab es da zu beobachten. Das war was! Aber von weitem war es Eins: eine Farbe, ein Ganzes, das weder weiß noch braun, eben sandfarben war, das ganz fest war aber auch wie flüssig. Die vielen Steinchen machten die Masse hart, aber weil sie so klein waren, machten sie sie auch weich. – Was für ein Wunder!

sand-steinchen2

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mache jetzt etwas Pause

Fortsetzung folgt

24.6.2014

© annianders.wordpress.com

 

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